Ich habe früher immer gedacht, ich muss unbedingt etwas gegen diese Tiefstimmung machen. Immer wenn ich wieder einmal so eine Schei**laune hatte und andere nur noch anmaulen konnte, habe ich mein Verhalten förmlich gehasst. Innerlich tat es mir so schrecklich weh, dass ich zum Beispiel meine arme Mutter immer wieder so ungerecht behandelt habe. Dabei war sie doch so lieb. Ich wollte nicht so furchtbar sein. Meist habe ich innerlich wie ein Löwe gegen meine schlechte Stimmung angekämpft. Aber ich konnte nichts dagegen machen. Was ich auch versuchte, ich konnte mich einfach nicht aus diesem dunklen Loch befreien. Das war wie eine Sackgasse. Ich konnte mich selbst immer weniger leiden. Was sollte ich bloß tun?
Es mag sich komisch anhören, aber wenn ich jetzt zurückblicke, kann ich sehen, warum mein Kampf gegen die Depressionen damals nicht erfolgreich sein konnte. Ohne mir dessen bewusst zu sein, habe ich damals gegen imaginäre Windmühlen gekämpft. Kein Wunder, dass mich das so viel Energie gekostet hat. Ich war völlig erschöpft und mein Körper total in Mitleidenschaft gezogen von all der Anspannung.
Aber wie sonst soll sich denn etwas ändern?
Schauen wir uns mal genauer an, wie unsere Psyche wirklich funktioniert (und ignorieren, was Psychologen üblicherweise sagen), können wir sehen, dass jedes Gefühl von einem Gedanken verursacht wird. Uns allen ist klar, dass positive Gedanken sich besser anfühlen als negative. Das ist keine Frage. Allerdings gibt es auch kein einziges Gefühl, das wir haben könnten, ohne dass dahinter ein (zumeist unbewußter) Gedanke steckt. Wenn wir das wirklich selbst erkennen, verändert sich unsere Beziehung zu unseren Gefühlen. Du wirst vielleicht sagen: Schön und gut.
Aber was hat das mit meinen Depressionen zu tun?
Nun, wir denken ununterbrochen. Das ist ein Fakt. Jeder Gedanke, der uns in den Sinn kommt, wird durch unser Bewusstsein für uns zur Realität. Wir fühlen ihn. Auch das ist ein Fakt. Wenn mir nun ein trauriger Gedanke in den Kopf kommt, fühle ich mich traurig. Wenn ich einen freudigen Gedanken habe, fühle ich Freude. Wir können nicht einen traurigen Gedanken haben und Freude fühlen, oder umgekehrt. Unmöglich.
Wenn wir genau hinschauen, können wir daher erkennen, dass wir in jedem Moment tatsächlich immer nur einen einzigen Gedanken denken. Dann ist er weg. Natürlicherweise kommt ein Gedanke nach dem anderen. Und das geht rasend schnell. Die meisten Gedanken erkennen wir daher normalerweise gar nicht als solche. Wir erleben einfach unsere Realität mit allen möglichen Gefühlen, ohne uns groß bewusst zu sein, dass wir denken. Erst wenn wir uns zum Beispiel eine Telefonnummer merken wollen, merken wir, wie flüchtig unsere Gedanken normalerweise sind. Die Nummern bleiben nicht so einfach hängen. Wir müssen sie meist häufig im Kopf wiederholen, damit wir sie uns merken können. Selbst dann ist die Nummer manchmal einfach weg. Das würde auch mit einem depressiven Gedanken passieren, wenn wir nichts mit ihm anfangen würden. Er würde kommen. Wir würden ihn fühlen. Und er würde gehen.
Was wir mit einem Gedanken anfangen?
Damit meine ich, dass wir einem Gedanken eine Bedeutung beimessen. Zum Beispiel: “Ich sollte mich nicht so fühlen”. Das ist ein weiterer Gedanke. Dann denken wir vielleicht: “Ich hasse das” oder “immer fühle ich mich so mies”. Als nächstes verurteilen wir uns vielleicht dafür, nicht gut genug zu sein: “Ich bin einfach zu nichts zu gebrauchen”. Und so weiter. So häufen sich mehr und mehr Gedanken rund um den ersten depressiven Gedanken. Er wird immer schwerer. Und vor allem kann er sich nicht mehr davonbewegen. Wir ihn halten ihn quasi fest, indem wir unschuldig immer mehr Gedanken dranhängen (so wie ein Freiballon, der nicht mehr davonschweben kann, weil zu viele Gewichte dranhängen). Gleichzeitig fühlen wir dieses ganze Päckchen mit den immer schwerer werdenden Gedanken.
Wenn wir nichts mit dem ersten Gedanken anfangen, geht er wie er gekommen ist. Wir erleben das Gefühl, aber es vergeht relativ schnell. Es kann nur solange bleiben, wie der Gedanke bleibt. Wenn wir uns nichts aus ihm machen, vergeht er von alleine. So funktioniert unsere Psyche bereits automatisch ohne unser Zutun. Wir erleben das tagtäglich. Gut sichtbar ist es, wenn wir uns zum Beispiel über einen anderen Autofahrer aufregen und uns das nicht viel bedeutet. Zuerst sind wir sauer. Aber nach einer Weile ist das Gefühl verflogen. Nur wenn wir später noch einmal auf den Gedanken zurückkommen, spüren wir den Ärger wieder. Das passiert, wenn wir zum Beispiel jemandem von dem Ereignis erzählen. Auch dann ist das Gefühl nach einem gewissen Zeitraum wieder weg.
Warum halten wir manche Gedanken derart fest?
Willkommen zum Mensch-Sein. Ich persönlich kann es nicht verhindern. Was mir aber hilft, ist, es besser zu verstehen. Die Qualität meines Gefühls wird dadurch mein Ratgeber. Wenn es uns passiert, dass wir einen ganzen Rattenschwanz an Gedanken unterhalten, wird unser Kopf immer voller. Der Druck steigt. Wir spüren den letzten Gedanken in der Reihe so doll, dass wir immer mehr versuchen, da raus zu kommen. Das ist ganz unschuldig. Es scheint zu unserer menschlichen Natur zu gehören, dass wir immer mehr nachdenken, je mehr wir uns von einem Problem befreien wollen. Aber was wir wirklich wollen, ist, dass wieder Ruhe im Geist einkehrt.
Woher aber soll die Ruhe kommen, wenn der Kopf so voll ist?
Indem wir erkennen, was in unserem Geist abläuft. Wir bleiben dann automatisch gelassener und denken weniger. Die ersehnte Ruhe liegt schon in uns als unsere natürliche Verfassung bevor wir überhaupt einen einzigen Gedanken haben. Wir erleben sie ab und zu – zwischen unseren Gedanken. Sie kommt mit einem Wohlgefühl. Je entspannter unser Geist, desto wohler fühlen wir uns. Warum? Wir haben dann einfach weniger Gedanken.
Unsere innere Ruhe ist auch die Quelle frischer Gedanken und kreativer Ideen. Auch sie kommen mit einem guten Gefühl. Zum Beispiel sagen wir “Ach ja, das hab ich nicht gewusst!” Oder wir sind ganz aufgeregt, wenn wir plötzlich eine Erkenntnis haben. Mehr nachzudenken hilft uns also nicht, wenn wir in Wirklichkeit einen klaren Kopf brauchen, um Lösungen zu finden.
Leider können wir uns meist nicht aussuchen, was wir denken. Wir denken halt unschuldigerweise genau das, was uns in den Sinn kommt. Was wir aber wissen können ist, DASS wir denken. Was genau wir denken, ist dann gar nicht mehr wichtig. Damit erklärt sich jedes Gefühl. Damit müssen wir es nicht so ernst nehmen. Wir erlauben unserer Psyche einfach, so zu funktionieren, wie sie es schon optimal tut. Sie reguliert sich von selbst. Sobald wir unsere Gedanken und die damit verbundenen Gefühle weniger ernst nehmen, klärt sich der Geist immer wieder ganz von alleine. So erklärt es sich übrigens auch, warum wir uns immer mal wieder zwischendurch ohne ersichtlichen Grund besser fühlen. Weniger Gedanken heisst mehr innere Ruhe.
Hier weiterlesen: Was uns noch hilft?
und Antworten finden auf die folgenden Fragen:
Was ist denn nun eigentlich eine „Depression“?
Wie kommen wir aus einem Tief also am besten heraus?
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