Wir sind mit innerer Ruhe geboren. Und dann fangen wir an zu denken. Das ist ganz unschuldig. Wir können gar nichts dagegen tun. Wir sind denkende Wesen. Wir füllen die Klarheit des reinen Bewusstseins mit persönlichen Definitionen, Überzeugungen, Vorstellungen, Erwartungen, Bewertungen, Sichtweisen und allen möglichen anderen Gedanken, die wir dann für die Wahrheit halten. Das sind aber immer nur unsere persönlichen Wahrheiten. Dazu werden sie sich mit neuen Gedanken immer wieder ändern. Sie haben also über die Dauer eines Gedankens hinaus keine Substanz – nur, solange wir genauso denken, fühlen wir genauso.
Was sagt uns das über unsere ‚Wahrheiten‘? Wollen wir daran festhalten, wenn es uns nicht gut geht? Oder wollen wir offen sein dafür, dass es jenseits all unseres Denkens (jenseits all unserer persönlichen Wahrheiten) noch etwas gibt, was uns trägt?
Was wäre, wenn wir persönlich gar nicht dafür zuständig wären, was wir denken? Woher kommt ein neuer Gedanke, der einen alten ablöst? Und wie kommt es, dass Denken einfach wegfallen kann, weil es als ’nicht wahr‘ durchschaut wurde?
Da ist mir neulich etwas passiert, was wirklich schwer in Worte zu fassen ist. Mir war nicht klar, dass sich in meinem Kopf ständig etwas aufgrund einer ‚Definition‘ abspielte, was mir völlig unbewusst war. Ich nahm seit einiger Zeit eine Art Stress im Hintergrund wahr. Es war wie ein subtiler Geräuschpegel, an den ich mich wohl gewöhnt hatte, der aber nicht greifbar war.
Nun saß ich in meiner Coachingsitzung und war, darüber berichtend, total in mein verurteilendes Denken über mich selbst geraten (ohne es zu merken): Alles war schlecht: „Ich kriege nichts zustande … blablabla … Ich habe immer noch diesen subtilen Druck … blablabla … Es hat sich nichts geändert … blablabla …“ Ich war wütend und traurig zugleich. Als ich anfing zu bemerken, was in mir vor sich ging (uralte Gedanken hatten sich aufgewirbelt), war ich selbst einigermaßen fasziniert, wie ‚echt‘ und ‚real‘ sich meine ‚uralte Story‘ mal wieder anfühlte. Während ich merkte, wie die Gedanken sich langsam setzten (wer ‚die Schneekugel-Metapher‘ noch nicht kennt, kann sie hier kennenlernen), wusste ich es wieder: „die Story war nicht wahr“. Ich musste lachen.
Marc, mein Coach, sagte irgendetwas – keine Ahnung mehr was – und plötzlich passierte es. Für den Bruchteil einer Sekunde sah ich, dass ich mich ständig an einer imaginären ‚Messlatte‘ maß, die gar nicht existierte. Der Punkt auf der ‚Messlatte‘ schmolz. Es gab noch nicht einmal mehr eine ‚Messlatte‘. Das ganze Konzept, dass ich überhaupt an irgendetwas ablesen musste, wie es mir geht, schmolz in einer Sekunde dahin. Das war so eine Erleichterung! Jetzt wusste ich, was der subtile Stress war.
Mein Denken hatte – ohne, dass es mir bewusst war – eine Unterscheidung definiert: Mich ’so‘ zu fühlen war okay – aber mich ’schlechter als so‘ zu fühlen, war nicht okay. In den nächsten Stunden und Tagen bemerkte ich immer wieder, wie mein Denken ständig die alte ‚Messlatte‘ suchte. Ich konnte nicht fassen, wieviel mentale Aktivität in meinem Geist stattfand, um unaufhörlich zu ‚messen‘ und zu bewerten, wie es mir ging. Kein Wunder, dass da ständig was surrte.
Nun herrscht so viel mehr Ruhe. Einfach nur, weil ich durchschaut habe, wie unnötig es ist, mich an meinem Wohlbefinden zu messen. Meine persönliche Wahrheit schmolz dahin und ich war frei. Jetzt ist es wieder völlig klar, dass ich nicht meine Gedanken/Gefühle/’Geräusche‘ bin, dass es völlig egal ist, wie ich mich fühle. Und dass genau darin mein Wohlbefinden liegt, das ist so befreiend.
Und wieder einmal war nichts weiter nötig, als zu erkennen, was in mir passierte. So ist jede/r von uns jederzeit in der Lage, hinter ihre/seine persönlichen Wahrheiten zu schauen. Dort erwartet uns nichts als unsere innere Ruhe, denn sie ist – jenseits aller Gedanken/Gefühle/’Geräusche‘ – immer schon da.
Was wäre, wenn es mit jedem Stress, mit jedem Leid immer das gleiche wäre? Dass unsere Gedanken (ohne, dass es uns bewusst ist) einen Maßstab definiert haben, wie etwas sein sollte? Und dass ständig weiteres Denken unseren Geist füllt, um alles und jenes (immer wieder) an diesem Maßstab zu messen und zu bewerten? Was wäre, wenn unser Leiden immer nur der dadurch entstehende ‚Lärm‘ in unserem Kopf ist?